Fruchtmüsli

[02-2018 / German / 735 words]

Sie macht den Küchenoberschrank auf und nimmt zwei weiße Schüsseln raus. Er sitzt am Tisch, die nackten Füße im blauen Teppich vergraben. Der Hund liegt daneben im Korb und grunzt.

„Sojamilch ist ok“, sagt er. „Und auch bitte was von diesem einen Müsli.“

„Obst auch?“, fragt sie und steckt sich eine Weintraube in den Mund.

Im Hintergrund rumsen drums und Beyoncé singt: „Hit me like a ray of sun / burning through my darkest night / you're the only one I want / i'm addicted to your light”.

Sie drückt auf einen Knopf an der Kaffeemaschine und es rattert.

„Hast du eine Kapsel reingegeben?“, fragt er.

„Nein. Das hab ich vergessen.“ Sie schüttet die trübe Brühe aus und macht sich einen neuen Kaffee.

„Nikoleta kommt um acht“, sagt sie und gießt Joghurt über ihre Dinkel-Crunchy-Mischung. Er schaut auf sein Smartphone: viertel vor. Kaltes Licht sickert durch das schmale Fenster über der Spüle.

„Wer ist Nikoleta?“, fragt er.

„Die neue Putzfrau. Sie kommt aus der Slowakei.“

Er steht auf, wirft eine Kapsel in die Maschine und macht sich auch einen Kaffee. „Ach so.“

„Sie hat mir erzählt, dass ihre Tochter lesbisch ist. Sie leben zusammen in einer kleinen Wohnung. Und ihre Tochter hat sich einen Hund gekauft, ohne sie zu fragen. Nikoleta war entsetzt, hat sie erzählt.“

Er nimmt einen Löffel von seinem Sojamilch-Nussmüsli und dreht ihn im Mund um.

„Ihrer Tochter hat sie gesagt: 'OK, der Hund kann hier sein – aber nur wenn er auf dem Rand geht'. Und sie hat mit so einem breiten Tixo-Band am Boden von Küche und Vorzimmer einen Bereich abgeklebt.“

Er schaut sie an. Ihr dunkles Haar ist zerstrubbelt und sie hat Pickel auf der Stirn. Beim Löffelabschlecken erzeugt seine Zunge in der metallenen Höhlung einen Unterdruck.

„'Und er kommt mir auch sicher nicht ins Schlafzimmer'“, hat sie ihrer Tochter gesagt, 'der bringt nur den Dreck rein'. Und einen Monat später, hat sie mir erzählt, war er dann schon ihr Baby.“

„Ihr Baby“, sagt er und schüttelt ein paar Mandeln aus der Plastikpackung in die Schüssel.

„Am Ende hat er sogar ins Bett dürfen.“ Sie nimmt einen Schluck Kaffee, schaut ihn an. Er hat rote Wangen und ziemlich buschige Augenbrauen.

„Mit fünfzehn bin ich mit meinem besten Freund öfters in den Prater geradelt, zum Trinken und Rauchen“, sagt er und kratzt seine Schüssel leer.

„Ok?“ Sie sticht mit ihrem Fingernagel in die Schale einer Grapefruit und es riecht frisch.

„Wir sitzen da zu zweit in der Dunkelheit auf einer Bank. Und da kommt ein Mann mit schlechten Zähnen und fragt, ob er sich dazusetzen kann.“

„Wie alt war der?“

„Ich weiß nicht, dreißig oder so.“

„Aha. Warum erzählst du mir jetzt eigentlich so was?“

„Weiß nicht.“

Sie blickt ihn nochmal an, seine Wangen, seine Augenbrauen. Es ist still am Tisch.

Er greift sich an die Nase. „Also jedenfalls schaut der Typ mich an. Und dann fragt er, ob er mir einen blasen kann.“

„Krank“, sagt sie und schiebt sich einen Löffel Dinkel-Crunchy-Müsli in den Mund.

„Zuerst hab ich ihm erklärt, dass ich nicht auf Männer stehe. Er hat gemeint, wir müssen uns ja nicht küssen. Ich hab's dann richtig vor Augen gehabt: mein Schwanz in seinem Mund zwischen den fauligen Zähnen.“

Sie teilt die geschälte Grapefruit in zwei Hälften und legt eine vor ihn hin. Er schaut aus dem Fenster, kratzt sich am Hinterkopf. „Am nächsten Tag hab ich dann auf Wikipedia gelesen, dass es so cruising-Zonen gibt.“

„Aha.“

„Und dass das da eben eine war.“ Er trinkt einen Schluck Kaffee und isst eine Mandel.

„Das ist was, wo schwule Männer hingehen, um Sex zu haben. Die gehen herum und wenn sie merken, dass ein anderer schon öfter an ihnen vorbeigegangen ist, geben sie sich Zeichen, zwinkern sich zu oder so, und verschwinden dann gemeinsam in die Büsche.“

Er bewegt den Ellbogen und seine Tasse fällt runter auf die Küchenfliesen, direkt neben den Teppich. Einige Scherbenstückchen verfangen sich in den blauen Flauschfransen. Sie springt auf, steht auf ihrer Seite vom Tisch.

„Zum Glück war nichts mehr drinnen“, sagt er und bückt sich.

Sie schaut ihm zu, sieht wie seine Finger vorsichtig die scharfen Kanten aus dem Teppich klauben und von den Fliesen auflesen. Wie er mit seinen Händen eine Schale bildet und zum Mistkübel geht. Mit dem Fußpedal klappt er den Stahldeckel auf und haut alles hinein. Dann nimmt er den Fuß weg und der Mistkübel klappt zu.